Die Studie wurde aus Mitteln des Bundeskanzleramtes (BKA), des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
(BMSGPK) und der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) gefördert. Der Fokus der WIFO-Analyse von Silvia Rocha-Akis, Jürgen
Bierbaumer, Benjamin Bittschi, Julia Bock-Schappelwein, Martina Einsiedl, Marian Fink, Michael Klien, Simon Loretz und Christine
Mayrhuber liegt entsprechend der jüngsten verfügbaren und verknüpfbaren Daten für Österreich unter Berücksichtigung der alle
fünf Jahre durchgeführten Konsumerhebung auf dem Jahr 2019 und der Entwicklung zwischen 2005 und 2019.
"Diese umfassende Studie verdeutlicht, wie wichtig sozialpolitische Maßnahmen für Chancengleichheit in unserer Gesellschaft
sind. Durch die staatliche Umverteilung reduzieren wir die Armut in unserer Gesellschaft nachhaltig, wir bieten Kindern eine
Perspektive, jenseits ihrer sozialen Herkunft. Doch gerade jetzt ist diese Studie ein Arbeitsauftrag, die Schwächsten in unserer
Gesellschaft nicht zu vergessen. Die automatische Valorisierung der Sozialleistungen ist ein Beispiel für die zahlreichen
Maßnahmen der Regierung, die jenen helfen, die es dringend brauchen", erklärte Sozialminister Johannes Rauch.
"Die Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizienten halbierte sich durch Umverteilung von 0,466 (Markteinkommen) auf
0,213 (Sekundäreinkommen), die Armutsgefährdungsquote sank zwischen Markt- und verfügbarem Einkommen von 33,7% auf 13,9% der
Bevölkerung. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich für die Jahre 2005, 2010 und 2015", so Rocha-Akis. Der Gini-Koeffizient misst
den Grad der Ungleichheit. Je näher der Wert bei 0 liegt, desto gleicher ist die Verteilung, je näher er bei 1 liegt, desto
ungleicher ist sie.
Ohne Pensionen dominieren Sachleistungen die Umverteilung
Öffentliche Leistungen und Abgaben trugen in sehr unterschiedlichem Maße zur Verringerung der Einkommensungleichheit bei.
38% der Umverteilung ging auf die Wirkung der gesetzlichen Bruttopensionen zurück. An zweiter Stelle folgten die wohlfahrtsstaatlichen
Sachleistungen (33%), wobei die Gesundheitsleistungen knapp ein Fünftel (18%), die Bildungsleistungen 10% und die verbleibenden
Sachleistungen (Bereich Familie, Wohnen und Arbeitslosigkeit) 5% beitrugen. An dritter Stelle standen die direkten Abgaben
(22%). Die öffentlichen monetären Leistungen trugen insgesamt 13% zur Verringerung der Ungleichheit bei, wobei die Leistungen
nach dem Versorgungsprinzip (insbesondere die direkten Familiengeldleistungen und das Pflegegeld) 6% und die Leistungen nach
dem Versicherungsprinzip (u. a. Leistungen der Arbeitslosenversicherung) 5% ausmachten. Die Leistungen nach dem Fürsorgeprinzip
(insbesondere die bedarfsorientierte Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe) trugen nur zu 2% zur Umverteilung bei. Die indirekten
Steuern wirkten ungleichheitsverstärkend (–6%).
Große Teile der Bevölkerung profitieren von Umverteilung
Ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Bruttopensionen finanzierte die obere Hälfte der Einkommensverteilung die Umverteilung,
von der die untere Hälfte profitierte. Einschließlich der Pensionen ergab sich für die meisten Einkommensgruppen ein positiver
Saldo, nur die oberen 20% waren im Durchschnitt Nettozahler:innen, insbesondere die obersten 10%. "Dies ist eine Folge der
hohen Konzentration der Markteinkommen und der progressiven Einkommensbesteuerung. Dennoch gibt es in allen Einkommensgruppen
sowohl Nettozahler:innen als auch ‑empfänger:innen", so Rocha-Akis.
Zunehmende Einkommenspolarisierung zwischen jüngeren und älteren Haushalten
In der längerfristigen Betrachtung fielen die starken Anteilsverschiebungen zwischen 2005 und 2010 bei den Personen in jungen
Haushalten (Hauptverdienende bis 35 Jahre) mit Kindern auf: 2005 befanden sich 46% der Personen im unteren Drittel der Primäreinkommensverteilung,
2010 betrug der Anteil 58% und blieb bis 2019 nahezu unverändert. Der Anteil im oberen Einkommensdrittel hatte sich sukzessive
von 19% (2005) auf 7% (2019) mehr als halbiert. Das dürfte damit zusammenhängen, dass sich die realen Primäreinkommen für
diese Gruppe besonders schwach entwickelt haben.
Grundsätzlich lässt sich die Tendenz erkennen, dass die Bevölkerung in Haushalten mit Hauptverdienenden unter 45 Jahren (mit
und ohne Kinder) immer häufiger im unteren Drittel der Primäreinkommensverteilung zu finden ist. Der Anteil der Bevölkerung
in Haushalten mit Hauptverdienenden über 65 Jahren stieg vom unteren zum mittleren Einkommensdrittel um 8 Prozentpunkte. Trotzdem
die Umverteilung zu den Haushalten mit Kindern diese Entwicklungen dämpften, zeigte sich die Divergenz zwischen jüngeren und
älteren Haushalten auch entlang der Verteilung der Sekundäreinkommen.
Steigende Armutsgefährdung bei jüngeren Haushalten
Insgesamt sank die Armutsgefährdung gemessen am verfügbaren Einkommen zwischen 2005 und 2019 tendenziell (‑0,4 Prozentpunkte).
Für Personen in jungen Haushalten mit Kindern stieg sie um +4,6 Prozentpunkte auf 25%; für Personen in Haushalten mittleren
Alters (Hauptverdienenden zwischen 36 und 45 Jahren) um +4,5 Prozentpunkte auf 17%. In Haushalten mit über 65-jährigen Hauptverdienenden
sank die Quote um 6,3 Prozentpunkte auf 11%. Bei den anderen Haushalten waren die Veränderungen weniger ausgeprägt.
Auch das Armutsrisiko von Kindern in jüngeren Haushalten ist im Vergleich zu Kindern in Haushalten mit älteren Hauptverdienenden
im Zeitverlauf deutlich gestiegen. Im Jahr 2019 war der Anteil armutsgefährdeter Kinder in jungen Haushalten fast dreimal
so hoch und in Haushalten mittleren Alters doppelt so hoch wie in Haushalten mit einem Hauptverdienenden zwischen 46 und 65 Jahren.
Reformen und demografische Veränderungen beeinflussen die Umverteilung
Ein längerer Verbleib im Erwerbsleben, u. a. aufgrund früherer Pensionsreformen, führt bei Haushalten mit einem Hauptverdienenden
bis 64 Jahren zu einem starken Rückgang des Umverteilungsbeitrags der gesetzlichen Bruttopensionen bei gleichzeitigem Anstieg
des Umverteilungsbeitrags der direkten Abgaben. In der Struktur der öffentlichen Ausgaben für Familien verringert sich das
Gewicht der monetären Familienleistungen u. a. aufgrund des realen Wertverlusts bei direkten Geldleistungen (‑11%) zugunsten
der Aufwendungen für institutionelle Kinderbetreuung (mehr als verdoppelt) und für steuerliche Begünstigungen (mehr als verdreifacht;
Familienbonus), von denen Familien im mittleren und oberen Einkommensdrittel stärker profitieren. "Mit der Valorisierung der
Geldleistungen seit 2023 dürfte sich diese Entwicklung etwas abschwächen. Eine Beseitigung der Zugangsbarrieren zu Kinderbetreuung
für einkommensschwache Haushalte und ausreichende Mittel für entgeltlose bzw. leistbare Krippen- und Kindergartenplätze bereitzustellen,
würde den Umverteilungsbeitrag der Familienleistungen und die soziale Mobilität erhöhen", so Rocha-Akis.
Die Abbildungen stehen Ihnen hier als Excel-Datei zum Download zur Verfügung.
Auf der neuen WIFO-Themenplattform "Verteilung" finden Sie weitere wissenschaftliche Arbeiten zu verteilungspolitisch relevanten
Themen: https://www.wifo.ac.at/themen/verteilung.
Publikationen
Studien, Oktober 2023, 254 Seiten
Auftraggeber: Bundeskanzleramt – Oesterreichische Nationalbank – Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
Studie von: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
Online seit: 23.10.2023 9:30
Die Studie analysiert die Auswirkungen des Wohlfahrtsstaates auf Einkommensungleichheit und die relative Armut in Österreich.
Ausgehend von den Markteinkommen werden die Verteilungseffekte von staatlichen Geld- und Sachleistungen in den Bereichen Gesundheit,
Bildung, Familie, Wohnen, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung sowie von Sozialbeiträgen und (in)direkten Steuern untersucht.
Die jüngsten verknüpfbaren Daten für eine solche Analyse beziehen sich auf das Jahr 2019. Durch die Umverteilung sinkt der
Gini-Koeffizient im Jahr 2019 von 0,466 (Markteinkommen) auf 0,213 (Sekundäreinkommen), die Armutsgefährdungsquote sinkt zwischen
Markteinkommen und verfügbarem Einkommen um den Faktor 2,5. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich für die Jahre 2005, 2010 und 2015.
Den größten Umverteilungsbeitrag leisten die gesetzlichen Bruttopensionen, gefolgt von den öffentlichen Gesundheitsleistungen.
Im Zeitverlauf hat der relative Umverteilungsbeitrag der direkten Abgaben deutlich zugenommen. Hinter den stabilen Verteilungsmaßen
im Querschnitt der Bevölkerung in privaten Haushalten verbergen sich divergierende Einkommensentwicklungen zwischen Haushalten
nach Altersgruppen. Das Armutsrisiko ist in Haushalten mit Kindern und Hauptverdienenden unter 46 Jahren überdurchschnittlich
hoch und hat zwischen 2005 und 2019 zugenommen.
Forschungsgruppe: Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit