Gallup-WIFO-Meinungscheck: Anteil der häuslichen Pflege stark unterschätzt

21.06.2022

Nur ein Fünftel der pflegegeldbeziehenden Personen in Einrichtungen – österreichische Bevölkerung glaubt, es wären 50%

Die im Rahmen des Gallup-WIFO-Meinungschecks befragten Österreicherinnen und Österreicher glauben, dass rund die Hälfte der pflegebedürftigen Personen in Österreich in betreuten Einrichtungen gepflegt werden. Tatsächlich ist es jedoch nur ein Fünftel der pflegegeldbeziehenden Personen.

"Dies wird also stark überschätzt", so die stellvertretende WIFO-Direktorin Ulrike Famira-Mühlberger im Rahmen eines Medienchats am 21. Juni 2022. "Es ist vielmehr so, dass vorwiegend Angehörige Pflegedienste leisten. Österreichs Pflegemodell setzt stark auf die informelle Pflege. Rund 40% der pflegegeldbeziehenden Personen nehmen gar keine formellen Pflegedienstleistungen in Anspruch."

"Dies entspricht aber auch weitgehend den Wünschen der Bevölkerung. Drei Viertel der Befragten geben an, dass sie bei einem leichten Pflegefall zu Hause betreut werden wollen und mehr als die Hälfte will dies selbst bei einem schweren Pflegefall", erklärte die Leiterin des Gallup-Institutes Andrea Fronaschütz. Die Daten der Pflegedienstleistungsstatistik zeigen, dass rund drei Viertel der Pflegeheimbewohnerinnen und ‑bewohner eine intensive Pflegebedürftigkeit aufweisen.

Laut dem jüngsten Stimmungsbarometer des Gallup-Institutes meinen 64% der Österreicherinnen und Österreicher, dass sich die Politik dringend prioritär mit Pflege und Gesundheit beschäftigen müsse. Im Gallup-WIFO-Meinungscheck wurde erforscht, ob die Einschätzungen der Bevölkerung zur Pflegevorsorge in Österreich der Faktenlage entsprechen?

Das Gallup-Institut hat dafür die Erfahrungen und die Meinungen im Bereich der Pflege vor der COVID-19-Pandemie (Dezember 2019 und Jänner 2020) und nochmals genau zwei Jahre später abgefragt. Auffallend ist dabei, dass die persönliche Erfahrung mit Pflege während der Pandemie rückläufig war, vor allem bei Frauen. "Dies könnte darauf hindeuten, dass Frauen aufgrund ihrer Mehrfachbelastung durch die Auswirkungen in der COVID-19-Pandemie ihr Engagement in der informellen Pflege etwas reduzieren mussten", meinte Fronaschütz.

Die Finanzierung der Pflege in Österreich schätzen die Befragten tendenziell richtig ein, nämlich, dass sowohl der öffentliche Sektor als auch die privaten Haushalte zuständig sind und ihre Beiträge leisten. "Interessant ist, dass die Pflege trotz der getroffenen politischen Entscheidung weiterhin durch allgemeine Steuern zu finanzieren, der überwiegende Teil der Befragten eine Pflegeversicherung als weitere Säule der Sozialversicherung bevorzugen würden" betonte Fronaschütz. "Allerdings wäre das aus ökonomischer Sicht nicht ratsam", ergänzte Famira-Mühlberger, "da dies regressive Verteilungswirkungen und negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung im Vergleich zu einer Steuerfinanzierung hätte."

Die Befragten erkennen jedoch die drei Problembereiche in der Pflege gut: Finanzierung, Personalbedarf und die Auswirkungen der Demografie. WIFO-Projektionen zeigen, dass Österreich mit hohen Steigerungsraten der realen Ausgaben für Pflege konfrontiert sein wird, ebenso mit einem hohen Personalbedarf. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Gründen, die das Pflegepotential in der Familie zurückgehen lassen, wie beispielsweise die steigende Arbeitsmarktpartizipation von Frauen durch höhere Bildungsabschlüsse sowie die niedrigeren Geburtenraten.

Der Gallup-WIFO-Meinungscheck ist eine Initiative des Österreichischen Gallup Institutes und des Österreichische Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO), um den oftmals emotional und ideologisch erhitzten Diskurs in unserer Gesellschaft zu versachlichen. Bei der gemeinsamen Untersuchungsreihe wird die Meinung der Bevölkerung zu volkswirtschaftlichen Themen erhoben und evidenzbasierten Informationen gegenübergestellt.

Die Präsentationsunterlagen stehen Ihnen hier zur Verfügung.
 

Methodenhinweis

Mixed-Mode-Befragung: CAPI-Interviews (Computer Assisted Personal Interviewing) und CAWI-Interviews (Computer Assisted Web Interviewing) im institutseigenen Onlinepanel "gallupforum".

1.000 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren. Die Daten wurden auf Basis des Mikrozensus gewichtet.

Welle 1:

CAPI: 17. Dezember 2019 bis 6. Jänner 2020
CAWI: 7. Jänner 2020 bis 10. Jänner 2020

Welle 2:

CAPI: 15. Dezember 2021 bis 7. Jänner 2022
CAWI: 7. Jänner 2022 bis 12. Jänner 2022

Rückfragen an

Priv.-Doz. Dr. Ulrike Famira-Mühlberger, PhD

Forschungsgruppe: Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit
© Anthony Boyd Graphics
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